Lange Tage hatte der Metropolenschreiber gegrübelt, hatte mit der Frage gerungen: Welches Design sollte der neue Einkaufs-Trolley haben? Sollte es das Tchibo-Modell mit der integrierten Kühltasche und den Dreikranzrändern werden? Oder die betont nachhaltige, fahrbare Bastkorbvariante? Oder das schicke reisenthel-Modell in Schwarz, mit dem man auch in der kleinen Stadt eine metropolentaugliche Figur machen konnte?
Schließlich siegte Form über Funktion, Ästhetik über Sparsamkeit und der Metropolenschreiber orderte das reisenthel-Modell. Schwarze Kunststoffplane umschloss edel silbernes Aluminiumgestell. Wie der Volksmund so schön sagt: „Ein echter Hacken-Porsche!“
Im Nachhinein stellte sich der Metropolenschreiber natürlich auch die Frage, ob er Ähnliches auch mit der Tchibo-Ausführung oder der Bastkorbvariante erlebt hätte? Man weiß es nicht. Aber es zeigte sich wieder, dass kleine Entscheidungen große Auswirkungen zeitigen können. Was war also geschehen?
Eines schönen Tages schlenderte der Metropolenschreiber durch den örtlichen REWE, den neuen Trolley im Schlepptau. Hier griff er zwei Henkeleimer voller Mini-Tomaten, dort ein Packerl Brunnenkresse und ach, ja: eine klassische Salatgurke für 49 Cent! Alles ließ er in das wohlige Halbdunkel des reisenthel hinabgleiten, wo es durch den Zugverschluss vor neugierigen Blicken geschützt auf die Wiederauferstehung am Kassenförderband wartete.
Dabei fragte sich der Metropolenschreiber, wann es eigentlich üblich geworden war, dass Supermarktkunden die gewählte Ware in den eigenen Taschen, Tüten und Trolleys zur Kasse kutschieren durften, ohne vom Verkaufspersonal als Ladendiebe angeprangert zu werden?
„Hoch lebe die Befreiung unseres Alltags!“ jubelte da der Metropolenschreiber innerlich und zuckelte zum großzügigen Kassenbereich, wo er das Gefährt mit energischem Schwung aus der Zug- in die Schiebeposition bugsierte und an das Kassenwarenband andockte.
Nun wurde es sportlich, denn jetzt galt es sich zu bücken, mit der Hand mutig in das Schwarze Loch zu greifen und Produkt für Produkt zunächst im Dämmerlicht des Trolleys zu ertasten, dann zu packen und auf das Kassenband ans Licht zu heben. Und was hier sehr aufregend klingt, war für den Metropolenschreiber eigentlich Routine.
Und während er den Trolley leerte, zog die Kassiererin, eine jung gebliebene Mitfünfzigerin mit asymmetrischer Kurzhaarfrisur und interessanten alt- und neutestamentarischen Tattoo-Motiven auf Ober- und Unterarmen, die Waren über den Scanner: Camembert und Lachgummis. Minitomaten und Salatgurke. Hähnchenbrust und … doch was war das? Die Hand des Metropolenschreibers umschloss im Dunkel des Trolleys eine Gurke, eine weitere, eine zweite Salatgurke! Hatte er etwa zwei Gurken gegriffen, obwohl er nur eine Gurke gewollt hatte? So, wie er es Schwarz-auf-Weiß auf dem Einkaufszettel vermerkt hatte!
Vorsichtig zog der Metropolenschreiber Gurke Nummer Zwei aus dem Trolleydunkel ans Licht. Doch Gurke Nummer Zwei war auffallend schlapp und instabil, zeigte nicht die Steifheit einer „Frisch-aus-dem-Niederländischen-Gewächshaus-geerntet“-Gurke.
Ja, und zusätzlich prangte da seitlich am Gurkenleib schon ein dunkelgrüner, fast schwärzlicher Fleck, aus dem es feucht heraussuppte. Was nun?
Der Metropolenschreiber wollte diese Gurke nicht. Er würde sie niemals kaufen. Sie war alt, angeschlagen und hatte jede Spannkraft eingebüßt. Doch wenn er sie jetzt auf das Band legte, dann musste er sie bezahlen, obwohl er sie nicht in den Trolley gelegt hatte. Oder sollte er sie ins Regal zurückbringen? Doch wie war dieses jämmerliche Exemplar einer Gurke überhaupt in den Trolley geraten? Hatte sie ihm jemand boshafter Weise hineingeschmuggelt?
Und dann hatte der Metropolenschreiber eine Eingebung, eine Erleuchtung und verstand, was geschehen war: Die Frau des Metropolenschreibers hatte bei ihrem vorherigen Einkauf die Gurke erworben, bezahlt, nach Hause befördert und dann im Trolley vergessen. Ja, das war möglich. Eine dunkle Gurke in einem dunklen Trolley kann übersehen werden!
Doch was sollte der Metropolenschreiber nun tun? Rufen: „Die Gurke habe ich versehentlich von zuhause mitgenommen. Die ist gar nicht aus ihrem Laden! Deshalb muss ich sie nicht bezahlen!“
Oder sie wieder in den Trolley zurücklegen, sie ungesehen und heimlich durch die Kasse befördern, um dann womöglich als Ladendieb erwischt und angeprangert zu werden?
Oder sie auf das Band legen, um sie noch einmal zu bezahlen? So tun, als hätte er sie ganz regulär in der Obst- und Gemüseabteilung aufgenommen?
Doch das widerstrebte dem Metropolenschreiber. Das sah er nicht ein, denn essbar war dieses schlaffe und matschige Ding nicht mehr! Und da niemand hinter ihm anstand, platzierte er sie unauffällig auf der Ablage am Anfang des Kassentransportbandes und wandte sich dann aufgeräumt an die Kassiererin: „Ich zahle mit Karte!“
Und so blieb die seinerzeit bereits bezahlte, doch im Trolley vergessene Gurke zurück im Supermarkt und dem Metropolenschreiber wurde sonnenklar, dass Einkaufstrolleys mit Zugverschluss eine Innenbeleuchtung benötigten, damit niemand in solch eine peinliche Situation geraten musste.
Denn man stelle sich vor, welche Auswirkungen es auf den Haussegen gehabt hätte, wenn es sich um ein vergessenes Paket Spitzenkaffees, eine übersehene Flasche Champagner oder ein Hochpreiskonfekt gehandelt hätte?
Hallo
Vielen Dank für diesen Artikel. interessantes Thema über Architektur. Ich freue mich auf weitere Blogs.
Mit freundlichen Grüßen
Simon Brocher aus Köln
Wunderbar geschrieben.