Entpampungslevel Eins:
Letzten Samstag besuchte der metropolenschreiber den örtlichen Wochenendmarkt. Er hatte sich herausgeputzt, trug schwarze Lederschuhe, dunkle Jeans, blaues Hemd und ein weiß-blaues italienisches Sakko mit einem rosafarbenen Vespa-Aufnäher. Vor dem Wochenendmarktbesuch hatte er sich im Café Landmanien gestärkt. Rührei mit Parmesan, Knuspercross-Müsli mit Wildhonig. Das Sakko ließ sich kaum noch zuknöpfen.
„Stell´ du dich da an. Da gibt´s die Sesamkringel, die die Tochter 2 möchte,“ hatte seine Frau erklärt.
„Wie viele denn?“
„Einer reicht.“
„Okay. Und was holst du noch?“
„Die gefüllten Mini-Paprika, die sie so mag.“
Also stellte sich der metropolenschreiber in die Schlange vor dem weißen Verkaufsmobil mit den griechischen Produkten. Während er wartete, beobachtete er das feingliedrige Spinnennetz-Tattoo auf der rechten Hand der Verkäuferin, wie sie Oliven in Plastikbecher schaufelte.
´Tattoos und weiße Haut sehen ganz schön gut aus,´ überlegte er, während er aus dem Augenwinkel observierte, wie sich die Warteschlange entwickelte.
´Das gefällt mir nicht! Diese Familie da vorne mit dem Buggy, die zerfasert das Anstehgewerbe. Wer ist denn dann der Nächste? Der junge Typ hier neben mir in der dunkelblauen Regenjacke? Steht der überhaupt an? Aber woher kommt dieser riesige, graubärtige Naturbursche mit dem Fahrradhelm und der neongelben Warnweste, der da mit diesem interessiert-wissenden Lächeln die Auslage mustert?´
Endlich war die Familie fertig. „Möchten Sie noch etwas Gefülltes mitnehmen?“ fragte sie der Kollege der Zarttätowierten noch und bugsierte Artischockenherzen für umsonst in ein knisterndes Kunststoffsäckchen. Wer mehr als 10 Euro ausgab, bekam hier immer ein Bonusschmankerl.
„Und wer kommt jetzt?“ fragte nun endlich die Zarttätowierte und ließ den Blick über die Regenjacke, den Herrn mit der Warnweste und den metropolenschreiber schweifen.
„Gehen Sie doch vor“, sagte die Regenjacke zu Herrn Warnweste.
`WAS???´
„Ja, also. Danke sehr.- Hallo, ich nehme dann bitte ein Fladenbrot.“
„Stehen Sie hier eigentlich an?“ erkundigte sich der metropolenschreiber bei Mister Vorlass, denn er fühlte sich übergangen und dachte: ´Es ist doch nicht okay, jemand vorzulassen, wenn noch andere Leute hinter einem stehen, oder? Oder?! Oder!´
„Ja, ich stehe an. Und Sie bekommen Ihren Sesamkringel schon noch.“
´WOW! WOW! WOW!´
Der metropolenschreiber war beeindruckt. Er fühlte echte Bewunderung. Hatte er hier einen Hauptkommissar vor sich, der niemals, niemals, niemals abschalten konnte? Dessen Bewusstseinsfilter sich aufgelöst hatten. Der registrierte, registrierte, registrierte. Der kurz vor dem Burnout stand? Der alles, wirklich alles, um sich herum wahrnehmen musste? Du, arme, arme Sau! Welche Gefahren drohten dir? Warum musst du immer auf der Hut sein? Alter Wachhund. Ewiger Kettenhund. Afghanistan-Veteran. Wie konnte ich dir helfen? Wie kann ich dir den Druck nehmen? Wie dir zeigen, dass alles gut ist? Das meine Ungeduld, meine innere Unruhe, mein „Wenn-ich-nicht-gleich-dran-komme-und-sich-jemand-vordrängelt-werde-ich-töten“ ganz und gar falsch war?
„Sie passen ja wirklich gut auf.“
„Ja. Das hat mich das Leben gelehrt!“
´Ha, Freunde! So geht entpampen!´, dachte der metropolenschreiber. `Ich habe ihm meine Bewunderung entgegengeschleudert und er hat mir seine Wunde gezeigt! Das ist echt. Das ist Party! Das ist Entpampungslevel Eins!`
(Fortsetzung folgt)