Blamier mich nicht!

Die Konfirmandengruppe der Tochter trifft sich heute im Wald. Mit Pfarrer und Betreuerstab veranstalten sie ein religiöses Geocaching. Dabei suchen sie kleine, wind- und wetterfeste Behälter, die Geocaches, die spirituelle Artefakte wie Stonehenge-Steinsplitter, atztekische Opfermesser oder Hexenhaupthaar enthalten.

Der metropolenschreiber begeistert sich am Mittagstisch: „Das nenne ich mal Religionspädadogik, die richtig rockt! Ihr seid sowas von vorne!“

„Kannst Du mich danach abholen? Ich schicke Dir eine SMS, wo“, erwidert die Tochter nur.

„Ah, diese ewig nüchternen Teenager!“ kocht es im metropolenschreiber: „Wofür begeistert sich die Jugend überhaupt noch?!“

Am frühen Abend empfängt der metropolenschreiber dann die angekündigte SMS: „Hey, um 19 uhr an der Grillhuette. Du musst am fussballplatz verbeifahren und dann ist links ein Fussgängerweg am Acker. Den feahrst du entlang, bis ein links ein „parkplatz“ kommt, auf dem du parken kannst 😉 wir sind dann geradeaus bei ner grillhuette! 😀 blamier mich nicht! :p“

„Teenager und andere Menschen muss man aus der Reserve locken“, überlegt  der metropolenschreiber und sendet folgende Nachricht: „Okay! Freue mich auf´s Blamieren! Muhahaha!  ;-)“

„Oooooh neeeein! 😦 ich kenne dich dann einfach nicht! -.- 😀 :p“, lautet die Antwortmeldung.

Auf dem Weg zum Abholpunkt umspielt dann ein Lächeln die Lippen des metropolenschreibers. Wie könnte denn die ultimative Blamage lauten?

Ganz klar: Mit heruntergelassenen Fensterscheiben vorfahren, Rita Ora voll aufgedreht aus dem Autoradio dröhnen lassen und Konfirmandengruppe samt Betreuerstab begeistert zurufen: „Hi, Jesus-Freaks, da bin ich!“

Ah, da am Ortsausgang ist die Abfahrt zur Grillhütte schon!

„Sssst“, schnurren die elektrischen Fensterversenker.

„Hot right now!!!“, knallt es aus den Boxen. Uuuh, und jetzt noch abbiegen mit quietschenden Pneus! Aus dem Fenster lehnen. Einhändig lenken. Schlangenlinien kurven und brüllen: „Hi, Jes …!“

Doch was ist das? Dort warten nicht ein Dutzend Konfirmanden, dort steht nur die Tochter mit einer Mitkonfirmandin. Und was grinst mich die Blondine in dem gerade abfahrenden VW Galaxy so seltsam an?

„Papa! Warum kommst Du so spät? Die anderen sind alle schon abgeholt!“ wird der metropolenschreiber empfangen.

Mist. Auftritt abgesagt!

Die Tochter setzt sich auf den Beifahrersitz, die Mitkonfirmandin („Sie wohnt bei uns um die Ecke. Können wir sie mitnehmen? Ja, gut.“) nimmt auf der Rückbank Platz.

„Wer war den die Blonde, die mich so angegrinst hat?“

„Das war eine Betreuerin. Die musste extra warten, bis Du endlich kommst.“

Oh, Vorwürfe! Oh, Schuldgefühl! Oh, ungerechtfertigte Kritik! Oh, Rachegelüst …! Mit einem bösartigen Funkeln stellt der metropolenschreiber „Deutschlandradio Kultur“ ein: „Ha!“ Die Tochter windet sich, murmelt: „Können wir etwas anderes hören? Können wir etwas anderes hören?“

Fies, wie er ist, gibt der metropolenschreiber den Schwerhörigen. Und was bleibt der Tochter? Sie zieht ihr Handy hervor und tippt Botschaften.

„Was starrst Du wieder in das kleine, schwarze Kästchen? Sprich mit Deiner Mitfahrerin! Das gehört sich so,“ bricht es da aus dem metropolenschreiber hervor, und er denkt noch: „Na, das ist jetzt die ultimative Blamage!“

Doch wie geht die Tochter damit um? Versinkt sie vor Scham im Autositz?

Nichts passiert. Stille. Kein Aufbäumen. Kein Wutgeheule. Keine verdeckten Boxhiebe. Nichts. Endlich ein Seufzen und kaum hörbar, ohne den Blick zu heben, nur ein „Ach, Papa!“

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6 Kommentare zu „Blamier mich nicht!

  1. wir lernen:

    1
    deutschlandradio kultur ist ein wirksames abgrenzungstool.

    2
    töchterchen nimmt das nächste mal einfach das fahrrad, oder?

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